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Vom Furz im Meeting und anderen Peinlichkeiten

Scham, Schuld, Angst - und was man dagegen machen kann.



Ein lauter Furz im Businessmeeting. Ein Riss im Hosenschnitt. Orgasmus statt Organismus in einer Präsentation. Der falsche Name in einer intimen Situation.


Wir kennen das alle. Wir tun etwas, oder etwas passiert durch unsere Unachtsamkeit, das uns unendlich peinlich ist.

Und prompt schämen wir uns. Wir laufen vielleicht rot an, fangen an zu schwitzen, zittern, stottern, werden blass und uns wird schlecht. Der Körper reagiert sofort und ungefragt und das erste, was wir tun wollen, ist uns sofort verstecken.


Und dann, falls die Situation nicht schon schlimm genug ist, sitzen wir nachher Zuhause und das Gedankenkarussell startet. „Wie konnte mir sowas nur passieren?“ „Warum zum Teufel hab ich das gemacht?“ "Was ist los mit mir?", „Was denkt jetzt XY bloß von mir?“

Im Erdboden zu versinken, oder als Zeitreisende*r zurückzukehren und alles ungeschehen zu machen ist leider nicht möglich. Was passiert ist, ist passiert. Und wir schämen uns.


Was ist Scham?

Soweit wir wissen, ist Scham ein höchst soziales und anerzogenes Verhalten.

Schäm dich!“ wird Kindern immer wieder gesagt, um ihnen zu zeigen, dass sie etwas getan haben, was nicht der sozialen Norm entspricht. Die "Fähigkeit", sich zu schämen, entwickelt sich dabei bei Kindern im Alter von zwei bis drei Jahren, nachdem sie gelernt haben, sich selbst von Anderen abzugrenzen.


Wer sich schämt, muss also fähig sein, sich in andere hineinzuversetzen / die Perspektive zu wechseln und muss gelernt haben, die eigenen Motive und Ansichten von denen Anderer zu unterscheiden.


Wichtig zu wissen ist, dass das kulturelle Umfeld die Schamgrenzen festlegt.

Wenn rülpsen während des Essens als normal, oder sogar als Kompliment an den Koch / die Köchin gesehen wird, dann wird ein öffentlicher Rülpser kein Schamgefühl hervorrufen. Dasselbe gilt für Körperscham. Jemand, der in einem kulturellen Umfeld aufwächst, in dem Nacktheit normal ist, wird keine ausgeprägte Scham empfinden, sich später auch nackt zu zeigen.


Als Erwachsene haben wir also gelernt, welches Verhalten in unserem Kulturkreis der Norm entspricht und welches nicht.

Tun wir nun etwas, das diese Norm „verletzt“, schämen wir uns.

Scham ist ein lähmendes Gefühl. Und leider auch eines, das lange anhalten kann.


Scham = Schuld?

Zwischen Scham und Schuld gibt es tatsächlich einen durchaus beachtlichen Unterschied.

Laut Slepian et al. fühlen sich Menschen, die sich schämen, oft wert- und/oder machtlos, während Schuldgefühle eher dazu führen, dass man Reue oder Druck empfindet.

Man kann also sagen, dass Scham sich eher auf das Innere auswirkt und Schuld den Blick auf das richten lässt, was in der Zukunft zu tun ist, um das „verbrochene“ wieder gutzumachen.


Nehmen wir zwei extremere Beispiele her, die den Unterschied vielleicht besser veranschaulichen:

Andrea betrügt ihren Mann, Max. Andrea fühlt sich schuldig, weil sie ihren Mann dadurch verletzt hat. Andrea schämt sich auch, weil das Fremdgehen nicht etwas ist, was in ihr moralisches Weltbild passt.
Andrea betrügt ihren Mann, Max. Sie glaubt nicht an Monogamie, also schämt sie sich nicht. Sie fühlt sich aber vielleicht etwas schuldig, weil sie ja doch Treue geschworen hat, und kocht ihrem Mann als Wiedergutmachung sein Lieblingsessen.

In beiden Beispielen ist es komplett irrelevant, ob Max etwas von der Affäre weiß oder nicht.


Vereinfacht gesagt:

Scham = intern – gegenüber sich selbst

Schuld = extern – gegenüber anderen


Scham bezieht sich auf die ganze Person. Eine beschämte Person hat oft das Gefühl, dass sie als Ganzes nicht in Ordnung ist und irgendwelchen Anforderungen nicht entspricht. Wer sich hingegen schuldig fühlt, kann anderen Personen gegenüber Reue zeigen oder Buße tun.

Nur wie zeige ich mir selbst gegenüber Reue? Wie tue ich mir selbst gegenüber Buße?


Natürlich werden Scham und Schuld oft miteinander vermischt und manchmal ist es nicht so einfach, die beiden Gefühle voneinander zu unterscheiden.

Generell kann man sagen, dass Scham anders wiegt als Schuld und oft zu Grübelei führt, also dem vorher angesprochenen Gedankenkarussell.



Hierbei muss auch gesagt werden, dass man sich vor allem dann schämt, wenn andere Personen involviert sind. Wenn ich alleine bin und laut rülpse, werde ich mich weniger schämen, als wenn andere Menschen es mitbekommen haben.

ABER: Wenn mir von Kindheit an eingetrichtert wurde, dass ich das Badezimmer niemals nackt verlassen darf, dann kann es sein, dass ich mich selbst dann schäme, wenn mich niemand sieht.


Alles ein bisschen kompliziert, ich weiß.


Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja ;)


Studien haben gezeigt, dass Menschen, die sich nach einem Patzer deutlich schämen, als sympathischer, großzügiger und vertrauenswürdiger angesehen werden und bei Beobachter*innen mehr Empathie auslösen.

Denn wenn wir uns schämen, zeigen wir dadurch unseren Mitmenschen, dass wir wissen, dass wir einen Fehler begangen haben. Es verdeutlicht, dass wir den sozialen Normen eigentlich folgen wollen und uns derer auch bewusst sind.


In einem besonders spannenden Experiment von Semin und Manstead fanden die Forscher, dass jemand, der unabsichtlich einen Stapel in einem Geschäft umriss und sich danach peinlich berührt (oder eben beschämt) zeigte, bei den Beobachter*innen deutlich mehr Sympathie auslöste als jemand, der keine beschämte Reaktion zeigte. Die erste Person tat ihnen leid und sie hatten den Drang, zu helfen. Bei der zweiten Person war das nicht der Fall, auch wenn das Umreißen als komplett unbeabsichtigt wahrgenommen wurde.


Soll heißen, dass uns unsere Scham deutlich menschlicher macht.


Das hilft einem natürlich auch nur bedingt weiter, wenn man gerade ein riesen Faux-Pas begangen hat und sich in Grund und Boden schämt.


Aber es zeigt auch, dass wir Menschen sehr wohl in der Lage sind, kleinere Patzer schnell zu vergeben.



Schauen wir uns das von der anderen Seite an:


Ich sage jetzt einmal ganz salopp, dass absolut jede*r von uns einmal in der Öffentlichkeit gefurzt hat. Ob im Klassenzimmer, im Büro, im Fitnessstudio oder beim formellen Weihnachtsessen mit der konservativen Großmutter. Egal. Ist jedem/jeder schon einmal passiert.

Und jetzt die Aufgabe: Denk zurück an die letzte Person, die in deiner Gegenwart unabsichtlich „einen fahren lassen hat“.

Kannst du dich überhaupt daran erinnern? Wenn, dann wahrscheinlich nur vage.


Fakt ist, dass wir unsere eigenen, härtesten Kritiker*innen sind. Wir prangern uns selbst an, wir spielen peinliche Erlebnisse immer und immer wieder im Kopf durch, wir verurteilen uns für jedes Missgeschick. Und das alles für etwas, das andere Menschen in unserem Umfeld meistens sofort wieder vergessen haben.


Scham überwinden

Es ist wichtig, dass man sich daran erinnert, dass Scham auch ihre guten Seiten hat. Scham, oder zumindest das Wissen über soziale Normen, lässt uns das kulturelle Umfeld, in dem wir uns bewegen, navigieren. Sie zeigt uns, wenn Grenzen überschritten wurden und hilft dabei, auch unsere eigenen Grenzen zu schützen.

Nackig im Büro zu erscheinen, wird (zumindest bei uns) negative, soziale Auswirkungen haben. Genauso wenig wollen wir (wahrscheinlich) den Kollegen nackt sehen.


Was Scham allerdings mit sich bringt, ist Angst. Angst vor Konsequenzen, Angst davor, etwas unwiderruflich falsch gemacht zu haben und Angst, dass das Missgeschick als Reflektion der eigenen Person gesehen wird.


Es ist diese Angst, die das Gedankenkarussell auslöst.


Was kann man also dagegen tun?


Eine gute Übung ist, sich einmal neutral mit der Situation auseinanderzusetzen.

Was genau ist schiefgelaufen? Ist das, was passiert ist, wirklich so schlimm? Für wen? Wenn ich Beobachter*in gewesen wäre, wie würde ich die Situation bewerten? Was genau ist eigentlich so schlimm daran?

So kann man sich oft bewusst werden, wovor man eigentlich Angst hat. Und es kann die passierte Situation etwas relativieren.



Außerdem: Lieb zu sich selbst sein. In den Spiegel schauen und sich selbst sagen: „Du bist manchmal ein*e ungeschickte*r Fettnäpfchentreter*in, aber ich liebe dich trotzdem.“


Und zum Schluss noch ein kleiner Schwank aus meinem persönlichen Fettnäpfchentreterinnendasein:


Als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war, waren meine Familie und ich auf Urlaub. In dem Alter fand ich es besonders unlustig, dass ich kurzsichtig war und eine Brille tragen musste. Also habe ich sie einfach nicht getragen.

Auf einem Zwischenstopp, an einem kleinen Flughafen, sah ich, sehr verschwommen, ein braunes Wesen in der nicht so weiten Ferne. Ich rief, lauthals: „Schauts, ein Viech!“

Spoiler: Es war kein „Viech“, sondern eine arme Frau aus unserer Reisegruppe, die sich gerade gebückt hatte. Von da an trug ich meine Brille ohne Widerwillen.


Solltet ihr also noch nie „Schauts, ein Viech!“ geschrien und dabei auf eine wildfremde und komplett unschuldige Person gezeigt haben, dann ist alles halb so wild ;)


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